Sonntag, 6. September 2009

Thomas Dennerby: "Ich bitte um Entschuldigung"

Vor zwei Tagen schied Schweden als einer der Mitfavoriten der Frauenfussball-EM in Finnland mehr oder weniger sang- und klanglos mit 1:3 gegen Norwegen bereits im Viertelfinale aus. Heute Abend spielen England und Holland um den ersten Platz im Endspiel, morgen folgt der Sieger der Begegnung Deutschland - Norwegen.

Gestern morgen um neun Uhr Ortszeit in Helsinki, hatte der schwedische Fussballverband zur Pressekonferenz ins Spielerinnenhotel geladen. Thomas Dennerby war wie immer ehrlich und aufrichtig und bat alle Fans um Entschuldigung für die Leistung, die man im Spiel gegen die Nachbarinnen aus dem Westen gezeigt hat.

Dreimal hat Dennerby die Nationalmannschaft in ein Turnier geführt, dreimal endete das Abenteuer in Tränen und dieses Mal lauter denn je in Rufen nach dem Rücktritt oder der Entlassung des Chefcoachs.

Wir werden hier nicht in den Chor derjenigen einstimmen, die schnellstens einen neuen Trainer haben wollen. Victoria Sandell Svensson, die scheidende grosse Mannschaftskapitänin, hat den Trainer indirekt in Schutz genommen, als sie sagte, dass die Spielerinnen nicht das getan häten was nötig gewesen wäre.

Schweden hatte das Fussballjahr 2009 so gut begonnen wie kaum ein Jahr zuvor. Beim traditionellen Algarve-Cup in Portugal schlug man Welt- und Europameister Deutschland erstmals seit acht Jahren, führte bereits mit 3:0, ehe die Deutschen noch auf den Endstand 3:2 verkürzen konnten. Olympiasieger USA wurde im Finale im Elfmeterschiessen besiegt, man hatte in der regulären Spielzeit 1:0 geführt, die Amerikanerinnen retteten sich kurz vor Schluss erst überhaupt in die Verlängerung. Vizeweltmeister und Silbermedaillengewinner Brasilien führte zwar in Göteborg gegen die Schwedinnen mit 1:0, in der zweiten Halbzeit aber zeigte Dennerbys Truppe eine fabelhafte Leistung und schlug auch diesen Gegner mit 3:1. Dies alles hat die Erwartungen in die Höhe geschraubt.

In Helsinki sprach ich vor Wochenfrist mit einem der Stars dieses Turniers, der Engländerin Eniola Aluko. Ich fragte sie, ob sie im Spiel gegen Russland überrascht gewesen sei von der starken Leistung der Russinnen. Aluko antwortete: "Man spielt gegen diese Mannschaften in Freundschaftsspielen und Freundschaftsspiele sind anders. Dann kommst du hierhin und dann trifft man sich auf Wettkampfbasis. Alles kann passieren."

Aluko liefert damit eine Erklärung für den platten Fall der Schwedinnen. Freundschaftsspiele sind was anderes. Deutschland etwa zeigte im Algarve-Cup 2007 eine mehr oder weniger desolate Leistung und wurde wenige Monate später Weltmeister ohne ein Gegentor zu kassieren.

Der Start in das Turnier in Finnland schien den schwedischen Marsch zur ersten Medaille seit vielen Jahren fortzusetzen. Sowohl Russland wie auch Italien wurden gefahrlos besiegt, das England-Spiel allerdings hätte schon Warnungen ausstrahlen müssen. Nur 1:1 gegen Engländerinnen, die mit deutlich angezogener Handbremse spielten, um sich die untere Hälfte und Deutschland in einem Halb- oder Viertelfinale zu ersparen.

Die schwedische Presse tönte lauthals und angeberisch wie sie das gerne tut und schrieb Gegner Norwegen in arroganter Weise herunter, wie das nur der vermeintlich grosse Bruder machen kann. Als offenbar auch noch schwedische Spielerinnen im weltweiten Sozialnetzwerk Facebook sich über Norwegen lustig machten, lieferte das den Spielerinnen von Bjarne Berntsen zusätzliche Motivation nach dem Motto "denen werden wir es zeigen". Sie haben es getan.

Dass man selbst nach dem Spiel in Presse- und Spielerkreisen immer noch behauptet, man sei eigentlich ja klar besser als Norwegen schlägt dann dem Fass den Boden aus. Zwei Spiele innerhalb von sechzehn Tagen. Zwei Niederlagen: 0:1 und 1:3, aber man ist eben trotz alledem die klar bessere Mannschaft.

In der masslosen Selbstüberschätzung liegt eine der Ursachen für das Ausscheiden. Es fehlte der Respekt vor dem Gegner, das, was man hierzulande "ödmjukhet" nennt, eine Kombination aus Respekt und Bescheidenheit, die man gerne postuliert, die in vielen Kontexten in Schweden aber ins Gegenteil verkehrt wird. Hier ist man gerne und oft "bäst på allt", am besten in einfach allem.

An der Mannschaftsaufstellung kann man herummäkeln. Warum nur, fragen Heerscharen von Journalisten, haben die in der zweiten Hälfte eingewechselten Jessica Landström, Lina Nilsson und Louise Fors nicht von Anfang an gespielt? Alle drei brachten frischen Wind ins Spiel. Das klingt so einfach. Zur Halbzeit lag man 0:2 zurück und musste alles auf eine Karte setzen. Die Einstellung änderte sich bei fast allejn Spielerinnen ab der 46. Minute. Jessica Landström ist eine physisch sehr starke, aggressive Stürmerin mit einem spielerisch sehr bregrenzten Repertoire. In Lotta Schelin dagegen hat das schwedische Team einen potentiellen Weltstar. Der allerdings während des ganzen Turniers nur durch sein Tor gegen Italien positiv in Erscheinung trat. Schelin wird beim nächsten grossen Turnier, der WM in Deutschland schon 27 Jahre alt sein und immer noch wird man auf den Durchbruch warten.

Ihr Talent ist unumstritten. An guten Tagen kann sie jede Abwehr der Welt austanzen und mit ihrem schnellen Antritt und der Fähigkeit, den Ball auf engem Raum weiterzubefördern und einen klinischen Abschluss zu machen, gegen alle Teams der Welt erfolgreich sein. Nur: Lotta Schelin gelingt das viel zu selten. Wie damals gegen Nordkorea mit den beiden Toren in China. Oder bei einem bedeutungslosen Freundschaftsspiel gegen eben jene Norwegerinnen auf Zypern, als sie beim 5:1-Sieg viermal traf. Sie auf die Bank zu setzen, wäre irgendwo logisch, nur nimmt man sich damit die Chance auf den genialen Moment, den spielentscheidenden Durchbruch, den eben nur Schelin unvergleichlich kann. Dennoch muss man sagen, dass sie in ihrer Entwicklung stehengeblieben ist, vielleicht sogar einen Schritt zurück gemacht hat, seit sie in Frankreich bei Olympiqye Lyonnais eigentlich keine ernstzunehmenden Gegenspielerinnen mehr hat. Zu einfach marschiert der französische Meisterclub von einem nationalen Titel zum anderen, als dass das einer Spielerin in ihrer Entwicklung nutzen würde. Besser wäre der Wechsel nach Amerika in die WPS gewesen, da war Lotta Schelin schlecht beraten. Sie muss weg aus Lyon, wenn sie weiterkommen will.

Kosovare Asllani, das zeigte sich, ist noch zu jung für den Stammplatz. Dennerby hat trotzig an ihr festgehalten, sie mal um mal aufgestellt, obwohl auch sie, wie Schelin, nur einen Moment hatte, ihr schönes Tor gegen Italien. Das ist zu wenig und ein Fehler des Trainers. Auch in der laufenden Saison hat Kosovare Asllani nicht an die Leistungen der vergangenen Saison anknüpfen können.

Überbewertet waren auch die Leistungen der Innenverteidigung mit Charlotte Rohlin und Stina Segerström. Nach den Spielen gegen die Russinnen und Italienerinnen wurde besonders Rohlin von der schwedischen Presse in höchsten Tönen gelobt. Zweimal gegen Norwegen, einen Gegner, der bis in die Haarspitzen motiviert war, sah Rohlin dann alt aus. Isabell Herlovsen sorgte mehrmals im Testspiel vor der EM dafür, dass Rohlin schwindlig und verwirrt aussah. Im Viertelfinale war ein Abstimmungsfehler zwischen Sara Thunebro und Charlotte Rohlin verantwortlich für das 2:0 durch Anneli Giske. Da sah insbesondere Rohlin alt aus.

Anna Paulson und Sara Thunebro auf den Aussenpositionen der Abwehr schlossen sich den schwachen Leistungen der anderen an. Sie aber jetzt zu kritisieren, greift daneben. Paulson war in den erste drei Begegnungen stark wie lange nicht mehr und Thunebro streckenweise Weltklasse.

Victoria Sandell Svensson hat ihr letztes Spiel für die Natio absolviert. Ihre Nachfolgerin als Kapitänin steht fest. Caroline Seger. Auch die war gegen Norwegen alles andere als in Normalform. Sandell Svensson zu ersetzen ist erst einmal ein Ding der Unmöglichkeit. Die 32-Jährige ist eine Musterfussballerin, eine der besten schwedischen Spielerinnen aller Zeiten. Ihr Spielverständnis, ihre Führungsrolle auf und neben dem Platz unumstritten und wenn es darauf ankommt, dann machte sie die Tore. Drei bei der EM reichten für den Sieg in der internen Liste. Allerdings schoss Schweden insgesamt nur 7 Tore.

Die WM-Qualifikationsgruppe wird wieder ein Kinderspiel für Schweden werden, interessant wird es dann erst Ende 2010 mit den Play-Offs um einen der vier Plätze für Europa bei der WM. Der Trainer wird Thomas Dennerby heissen, die beste für den Job wäre Pia Sundhage, aber die ist nicht zu haben.

Dennerby muss seine Spielerinnen runterholen von dem Sockel, auf dem sie standen, wenn die Norwegerinnen das noch nicht vermocht haben. Sie brauchen "ödmjukhet", diese spezielle Mischung aus Respekt und Bescheidenheit. Er redete den Spielerinnen seit seiner Amtsübernahme immer wieder ein, dass sie Mut haben sollen, wie ein väterlicher Onkel Thomas. Mut sollte man ihm selber wünschen. Mut zu unpopulären Entscheidungen. In der Quali für die WM könnte er es versuchen. Zu eindeutig ist die Überlegenheit der Schwedinnen. Lotta Schelin könnte es gut tun, mal 1-2 Spiele auf der Bank sitzen zu müssen. Und Linnéa Liljegärd ist eine extrem hungrige, junge Stürmerin... Den Mut haben, die Arrivierten auch mal auf die Bank zu setzen und so die interne Konkurrenz zu fördern, dafür bräuchte sich Dennerby bei seinen Spielerinnen nicht einmal zu entschuldigen.





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